Dahinterismus

# Der Dahinterismus

Zunächst ein einfaches Beispiel: Ich (Peter Fuchs) bin kein computerferner Mensch, arbeite von früh bis spät an meinem Rechner, vorwiegend an Texten. Dabei lese ich, schreibe ich, korrigiere ich, füge Bilder ein, recherchiere im Netz ... business as usual: Ich sehe Texte, ich sehe Bilder, Korrekturmarken, nichts sonst, kombiniert mit einigen Erleichterungen, die über die Möglichkeiten meiner früheren Schreibmaschinen hinausgehen. Ich sehe nicht: Digitales, keine Digitalität, nichts dergleichen. Alles macht in meiner Welt Sinn, wie es immer Sinn macht. Wenn ich vom Bildschirm auf die Bücher zu meiner Linken und Rechten schaue, ändert sich rein gar nichts.

Man könnte sagen: Ich arbeite in einer Ergebniswelt, die für mich Seinsqualität hat. Das technische Dahinter der Operationen Lesen, Schreiben, Recherchieren ... ist ein diffuses Dahinter, das sich gut vergleichen läßt mit psychischen Systemen, die niemals direkten Kontakt unterhalten können mit den neuronalen Systemen, die sie ermöglichen. Man sieht, aber man sieht nicht, wie Sehen gemacht wird.

Jedenfalls läßt sich der Eindruck gewinnen, als würde ebendeswegen im Blick auf Digitalität ein Sinn hinter dem Sinn gesucht, ein Sinn für ‚Hinterweltler‘.

Vgl. jedenfalls Nietzsche, F., Also sprach Zarathustra: Die Reden Zarathustras: Von den Hinterweltlern, Werke in drei Bänden, Bd.2, München 1955, S.297f.

Man könnte auch formulieren: Es geht bei Digitalität um die Projektion eines ‚Dahinterismus‘.

Um eine Verschwörung, wie sich dramatophil sagen ließe. Dietrologia, das ist Verschwörungswissenschaft im Italienischen, die sich sehr schön mit ‚Dahinterismus‘ übersetzen ließe. Luhmann, N., Was ist der Fall, was steckt dahinter? Die zwei Soziologien und die Gesellschaftstheorie, Zeitschrift für Soziologie 22, 1993, S. 245-260, beantwortet diese Frage mit: Nichts steckt dahinter.

Dazu paßt, daß man längst schon die ‚Seinsweise digitaler Virtualität‘ diskutieren kann – unter Referenz auf die "intelligentiae separatae" (Engel) des Aquinaten, auf die ‚motores der Sterne und Planeten‘.

Vgl. Capurro, R., Beiträge zu einer digitalen Ontologie, capurro.de , S.10.

Es fügt sich nicht minder, daß eine solche Ontologie des Digitalen deuten will, warum „wir (...) weniger in systematischen als in ... postalischen oder in angeletischen Verhältnissen (leben)." (S.39.)

Der Hintergrund, das Unsichtbare determiniert den Vordergrund, ein sehr altes, religiöses Modell, das die Prominenz der Gurus, der Nerds, der Hacker, der Eingeweihten erklärt, priesterlicher Leute, die das Unlesbare zu lesen verstehen.

Man kann sicher vorläufig sagen, daß mit dem, was digital age genannt wird, ein Subtext in die Gesellschaft geraten ist, der in einer ungeheuren Asymmetrie zu sich selbst unlesbar ist in seiner für Sinnsysteme nichts repräsentierenden Binarität. Die lesbare Seite dieses Textes, das sind die Projektionen der Digitalität, all die Bilder, Texte, Geräusche, die digital ermöglicht werden; die unlesbare Seite kann man sich als die Welt klickernder klackernder Aufblitzereien vorstellen, die die Bedingung der Möglichkeit jener projektiven Phänomenalität ist, die fungierende (technoide) Digitalität, mit der der Gedanke einer sinnförmigen Koppelung unverbindbar scheint.

Die Besonderheit dessen, worüber wir in der Metapher des Dahinterismus gesprochen haben, ist die „Unmöglichkeit der Koppelung“.

Galloway, A.R., “Black Box, Schwarzer Block”, in: Hörl, E. (Hrsg.), Die technologische Bedingung. Beiträge zur Beschreibung der technischen Welt, Berlin 2012, S. 267-280, hier S.277. Dies macht den Versuch, das Medium der Digitalität theoretisch, also de-ontologisierend in den Griff zu bekommen, so wichtig. Vgl. etwa Brosziewski, A., Aufschalten, Kommunikation im Medium der Digitalität, Konstanz 2003.

Oder, wie man systemtheoretisch formulieren müßte: deren vollkommene Geräuschlosigkeit, die sich am Fall der Koppelung psychischer und neuronale Systeme studieren ließe. Wir schließen jedoch Koppelung nicht aus, sondern orientieren uns am Begriff der ‚strukturellen Koppelung‘.

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FUCHS, Peter, 2013. Digitalität und Sinn – Essay zu einer irgendwie möglichen, unmöglichen Verbindung.