Bemerkungen zu einer Epistemologie des Lebendigen

[…] Ich weiß nicht, ob man das kürzestmöglich ausdrücken kann. In meinem Artikel „Bemerkungen zu einer Epistemologie des Lebendigen“[16] versuchte ich, die Geschichte so zu schreiben, daß sie sich selbst enthält, das heißt, die Lebensfrage nicht als „Dort ist Leben“ zu beschreiben, sondern diese Frage selbst lebendig werden zu lassen. Die Lebensantwort sollte nicht lauten: „Dieser Hund ,dort‘ ist am Leben, diese Steine ,dort‘ nicht.“ Die Antwort sollte es vielmehr ermöglichen, in eine Beschreibungswelt, in eine Sprachwelt einzutauchen, welche das Leben zum Leben bringt. Ich kann nicht sagen, ob mir dieser Artikel wirklich gelungen ist, aber damals war ich glücklich, daß mir diese kreisförmige, nahezu Wittgensteinsche Struktur eingefallen ist. Ähnlich wie im „Tractatus“ gibt es Hauptsätze, die durch Untersätze unterstützt werden, und der Anfang des Artikels impliziert das Ende wie auch das Ende den Anfang. Da liegt im übrigen ein wesentlicher Unterschied zu Wittgenstein, denn er fängt „hier“ an und hört „dort“ auf. Mein Anliegen war hingegen, nicht so zu schreiben, daß es „hier“ anfängt und „dort“ aufhört, sondern daß das Ende „hier“ wieder zum Anfang „hier“ führt - und das Ganze eine Zirkularität im „Hier“ bleibt.

Im wesentlichen hoffte ich immer: Wenn ich vom Leben spreche, werde das Lebendige etwas Beschreibendes, etwas, das sich selbst beschreiben kann. Wann immer ein interaktiv Beschreibendes mit etwas anderem ein organisierendes System bildet und wir ein ständiges Zusammenspiel erleben, dann entwickelt sich eine ständige, potentiell beflügelnde Dynamik. Damit könnte es mir vielleicht gelingen, das Leben im Leser zu stimulieren. Meine Hoffnung war, eine Situation so zu beschreiben, daß die Beschreibung selbst den Lesenden oder den Mithörenden mit hineinzieht in diesen Tanz des Beschreibens, des Hörens, des Lesens oder des Erzeugens. Jeder gute Dichter kann mich in seine Welt hineinziehen und verstricken. Ich bewundere den Künstler, weil er mir sagen kann, worum es sich handelt, wenn wir vom Leben sprechen.

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