Die Paradoxie des Entscheidens VIII.

Im Normalbetrieb von Organisationen findet man zwei verschiedene Schemata, mit denen die Paradoxie des Entscheidens unsichtbar gemacht wird: das Schema der Probleme und das Schema der Interessen. Das Problemschema bekommt es sehr rasch mit dem Metaproblem der unklar definierten Probleme zu tun.

Hierzu gibt es eine reichhaltige Literatur, die man auch unter dem Stichwort Problemdefinition finden kann. Vgl. z.B. Walter R. Reitman, Heuristic Decision Procedures, Open Constraints, and the Structure of Ill-Defined Problems, in: W. M. Shelley /G. L. Bryan (Hrsg.), Human Judgments and Optimality, New York 1964, S. 282-315; W. F. Pounds, The Process of Problem Finding, Industrial Management Review 11 (1969), S. 1-19. Ferner Beiträge in: Louis R. Pondy/ Richard J. Boland, Jr./Howard Thomas (Hrsg.), Managing Ambiguity and Change, Chichester 1988.

Das Schema der Interessen findet sich in Situationen, in denen ein Interesse nur auf Kosten anderer gefördert werden kann. Je nach dem, welche Metapher man wählt, kommt man also zu ganz verschiedenen Situationsdefinitionen.

Dabei schließen beide Schemata einander nicht aus, sondern interpretieren sich gegenseitig. Beim Problemschema kann man immer fragen, welche Interessen dahinter stehen und durch die scheinbar objektive Problemdefinition unsichtbar gemacht werden. Und die Förderung von Interessen wird ihrerseits zum Problem, zumal bei einer detaillierten Planung die Zahl der verletzten Gegeninteressen zunimmt. Dennoch, und gerade wegen dieser wechselseitigen Infiltration, ist es wichtig, zu beobachten, mit welchem Schema eine Entscheidungsanalyse oder ein Entscheidungsprozess anfängt.

Mit der Problemanalyse suggeriert man möglichen Konsens und eine Art ojektive Diagnose. Man verstrickt sich in die zumeist überwältigenden Schwierigkeiten, eine eindeutige Problemdefinition zu finden. Man arbeitet scheinbar rational. Mit der vorrangigen Bezugnahme auf Interessen wird dagegen ein Standpunkt ausgeflaggt, bei dem vorab klar ist, dass er partikularistisch gewählt ist und andere, gegensätzliche Interessen unberücksichtigt lässt. […]

[…] An dieser Stelle interessiert […] vordringlich die Frage, weshalb es zu dieser Zweiteilung der Schemata kommt und weshalb man sich genötigt sieht, das eine oder das andere als Einstieg in die Entscheidungsanalyse zu wählen. Die Antwort könnte lauten, dass mit dieser Zweiteilung das Paradox des Entscheidens sich unsichtbar macht und nur noch die Frage hinterlässt, ob man Probleme lösen oder Interessen fördern will. Man kann dann versuchen, mit der Wahl des einen oder des anderen Ausgangspunktes Entscheidungsanalysen und Entscheidungsprozesse in Gang zu setzen und auszublenden, dass es auch die jeweils andere Möglichkeit gibt. Dass es relativ leicht fällt, diese Frage (und damit die Frage nach der Einheit und der Funktion der Unterscheidung Problem/Interesse) auszublenden, erklärt sich daraus, dass man anderenfalls den lähmenden Blick auf das Paradox aushalten müsste.

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r.Org.Luh.4.Paradoxie, p. 150–151.