Distanz erzeugen

Die zweite Möglichkeit, Distanz zu erzeugen, hängt mit der ersten eng zusammen. In ihr geht es darum, umfassende Moralvorstellungen durch ein partialisiertes Verantwortungsbewusstsein zu ersetzen. Die Substitution »moralischer« durch eine bloß »technisch-formale Verantwortlichkeit«, wie Bauman sie nennt, hat eine weit entwickelte funktionale Arbeitsteilung zur Voraussetzung. Zwar findet diese Substitution bis zu einem gewissen Grade auch in hierarchisch-linearen Strukturen statt. Jedes Glied in der hierarchischen Subordinationskette ist dem direkten Vorgesetzten gegenüber verantwortlich und in erster Linie an dessen Beurteilung interessiert. Aber daneben kann durchaus noch eine zumindest theoretische Vorstellung von den Folgen des eigenen Tuns existieren. Es besteht immer die Möglichkeit, dass die Fixierung auf die Gunst des Vorgesetzten den Abscheu vor dem Resultat der Handlung nicht zu überdecken vermag. Und wo man abwägen kann, entsteht Entscheidungsspielraum. Deshalb ist innerhalb einer rein linearen Arbeitsteilung technische Verantwortung nicht genügend stabilisierbar. Sie unterliegt einem Rest moralischen Rechtfertigungsdruckes. So sind Situationen vorstellbar, in denen sich Funktionsträger weigern, Befehle auszuführen, durch die Vorschriften verletzt werden oder technisch zu rechtfertigende Maßnahmen plötzlich eine ethisch-moralische Dimension gewinnen. Diese theoretische Möglichkeit wird nichtig oder zumindest stark eingeschränkt, sobald hierarchische Befehlsstrukturen durch eine funktionale Arbeitsteilung ersetzt werden. Die technisch-formale Verantwortung kann sich nun über alle Einschränkungen hinwegsetzen und ist in praktischer Hinsicht unangreifbar. Worin besteht ihr Spezifikum?

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Bammé, Homo occidentalis, p. 439.

The most important causal factor for the Holocaust, as I [Bammé] had quoted Zygmunt Bauman, was the specifically modern, technical-bureaucratic patterns of action and the mentality that determined them […].