Schuld macht frei

Samstagsgespräch mit Heinz Bude. Der Soziologe spricht über die Notwendigkeit einer konservativen Wende in Deutschland, die Gelassenheit der Boomer in der Krise und seine rebellische Jugend.

Basler Zeitung, Samstag, 3. Februar 2024, S. 27

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Bernhard Ott: Seit dem Bericht des Club of Rome 1972 weiss man um das Umweltproblem. Trotzdem haben die Boomer in Saus und Braus gelebt. Müssen Sie Schuldgefühle haben?

Heinz Bude: Natürlich haben wir Schuldgefühle. Aber das muss nicht schlecht sein. Wenn ich eines von Willy Brandt gelernt habe, ist es, dass Schuld frei macht. Man muss nicht die anderen anklagen und sagen, die hätten doch auch. Man kann akzeptieren, dass Deutschland den Krieg vom Zaun gerissen hat und dass das Land Weltmeister bei der Vernichtung von Menschen war.

Wenn ich eines von Willy Brandt gelernt habe, ist es, dass Schuld frei macht.

Als praktizierender Katholik haben Sie es da aber leichter und brauchen nur zu beichten. Als Protestant ist es nicht so einfach.

Der Protestantismus hat einen Hang zum Selbstquälerischen. Das zeigt sich exemplarisch im Roman «Mars», der in den späten Siebzigerjahren von einem Zürcher unter dem Pseudonym Fritz Zorn veröffentlicht wurde. Zorn stellt seine Krebskrankheit als Ausdruck von nicht gelebtem Leben dar. Da kommt Scham über die eigene Existenz zum Ausdruck. Scham ist schlecht, Schuld ist viel besser. Schuld ist die Möglichkeit, für die eigenen Taten Verantwortung zu übernehmen. Die Schuldfähigkeit ist eine Bedingung der Möglichkeit einer anderen, besseren Welt.

Muss man dafür auf die Knie gehen wie einst Willy Brandt in Warschau?

Nee. Willy Brandt ist ja auch wieder aufgestanden.

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